Stealthing: Alles, was du über die Sexualstraftat wissen musst!

Hinter dem Begriff des Stealthing verbirgt sich ein sich häufender, gefährlicher, Sextrend mit unbekannten, teils gravierenden, physischen und psychischen Folgen für Betroffene.

Definition: Was bedeutet Stealthing genau?

Aus dem Englischen übersetzt bedeutet Stealthing so viel wie „List“ oder „Heimlichtuerei“. Es besitzt bei weitem nicht die selbe wachrüttelnde Aussagekraft wie das Wort „Vergewaltigung“, auch wenn es bei den Opfern zu ähnlichen traumatisierenden Erfahrungen führen kann.

Stealthing bezieht sich zunächst auf eine Person, die vor oder während des Geschlechtsaktes, ohne Wissen oder Zustimmung des Sexualpartners, ein Kondom heimlich entfernt oder bewusst beschädigt. Doch der Begriff bezeichnet im Grunde die Entfernung jeglicher Form des Verhütungsmittels ohne Konsens.

Stealth Sex, riskant und gefährlich!

Stealthing setzt in der Praxis alle Beteiligten den Risiken übertragbarer Krankheiten wie HIV, Syphilis, Chlamydien oder Tripper aus. Für weibliche Betroffene birgt Stealthing sogar die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft.

Mann hat Kondom heimlich entfernt
Foto: Marina Svetlova – Shutterstock.com

Stealthing bezeichnet mehr als nur einen Vertrauensbruch, es ist eine Form des emotionalen und sexuellen Übergriffs, mit bis dato unterschätzten Konsequenzen.

Gesellschaftliche Tragweite des Stealthing

Im Internet existieren Online-Communities, die bloß die Absicht verfolgen, Männern eine Stealthing Anleitung zur Hand zu geben, wie sie vermeintlich am besten ein Kondom heimlich abziehen können.

In diversen Stealthing Foren werden die Opfer ausgelacht und die Täter heroisiert. Hier tauschen sich zudem Täter nicht nur über ihre Stealthing Erfahrungen aus, sondern finden unter Gleichgesinnten Akzeptanz und Applaus.

Dass Stealthing Porn eine eigene Kategorie auf Online Erotikseiten darstellt, zeigt wie populär Stealth Sex ist, und dass es in Teilen der Gesellschaft Anklang finden kann.

Was treibt die Täter beim Stealthing an?

Das maskuline Dominanzverhalten ist ein Hauptmotiv, welches von der Psychologin und Gynäkologin Dr. Sumayya Ebrahim in einer Studie aus dem Jahr 2019 aufgegriffen wird. Sie bezieht sich hierbei auf getroffene Äußerungen von Tätern aus einer im Jahr 2017 entstandenen Studie.

Mann möchte Stealthing ausprobieren
Foto: Krakenimages.com – Shutterstock.com
  • „… ohne Kondom fühlt es sich besser an …“
  • „… das Recht, seinen Samen zu verbreiten …“
  • „… das gebietet der Instinkt …“

Diese weit verbreiteten und tief verwurzelten Ansichten über das vermeintlich natürliche männliche Recht kamen auch bei Umfragen aus dem Jahr 2014 zu tragen. Hier gaben 9% der jungen männlichen Teilnehmer an, dass sie schon mal an einer Form des Stealthing beteiligt waren.

Stealthing Opfer und ihre Erfahrungen

Bei einer von 2013 bis 2017 durchgeführten Studie, welche im Women’s Health Journal erschienen ist, gaben 12 % der teilnehmenden Frauen zwischen 21 und 30 Jahren an, von Stealthing betroffen gewesen zu sein.

Weiterhin unterstrichen Interviews, die im Rahmen der oben genannten Studie von 2017 von Alexandra Brodsky geführt wurden, nochmals die Ängste der Betroffenen und die Ignoranz der Täter.

Folgende Äußerungen wurden von Befragten getätigt:

  • „Ich fühlte mich gedemütigt, beschämt, schmutzig …“
  • „Ich habe mitten beim Sex aufgehört, ich fühlte mich irgendwie, als wäre ich vergewaltigt worden.”

Und wie Täter auf eine Konfrontation reagierten sah oftmals dann so aus:

  • „Mach dir keine Sorgen, ich habe ihn vorher rausgezogen … du wirst nicht schwanger.“
  • „… du bist paranoid, ich habe nichts, ich bin sauber.”

Anhand dieser Aussagen wird nochmal deutlich, wie empathie- und skrupellos gegen die Opfer vorgegangen wird und mit welch gefährlicher Naivität verblendete Täter sich zu rechtfertigen suchen.

Stealthing eine Straftat? Rechtsexperten und Juristen sind sich einig

Dr. Brianna Chesser ist Dozentin für Kriminologie und Justiz am Royal Melbourne Institute of Technology (RMIT). Sie ist mit vielen Experten hierzulande einer Meinung darin, dass Stealthing einen Akt gegen die Würde und eine Bedrohung der körperlichen Handlungsfähigkeit darstellt.

Da Stealthing eine einvernehmliche Handlung in eine nicht einvernehmliche verwandelt, kann es laut Rechtsexperten als sexueller Übergriff oder Vergewaltigung angesehen werden.

Eine Sichtweise, die von einer Studienteilnehmerin aus dem Jahr 2017 bekräftigt wird: „Das ist die Quintessenz. Ich stimmte zu, ihn mit Kondom zu ficken, nicht ohne.“

Ist Stealthing strafbar?

Mann hat Kondom heimlich abgezogen
Foto: Roman Samborskyi – Shutterstock.com

Gemäß § 177 StGB ist Stealthing strafbar und als ein sexueller Übergriff zu werten. Je nach den Umständen der Tat, kann sogar eine Verurteilung wegen Vergewaltigung erfolgen, für die eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten vorgesehen ist.

Doch das ist die bloße Theorie. In der Realität steht oft die Aussage des Opfers gegen die des Täters und das Gericht muss jeden Fall neu bewerten.

Ein Stealthing Urteil aus der Praxis

In einem Gerichtsfall aus dem Jahr 2018 wurde ein junger Mann, der sich des Stealthing schuldig gemacht hatte, zunächst vom Amtsgericht Kiel freigesprochen. Der Sex zwischen den Beteiligten sei einvernehmlich gewesen und der Täter habe keine Gewalt angewandt, oder das Opfer zu irgendetwas gezwungen. Das heimliche Entfernen eines Kondoms stellt lediglich eine Täuschung dar.

Doch in zweiter Instanz wurde dieser Entscheid vom OLG Schleswig-Holstein gekippt. Da der Geschlechtsakt ab dem Zeitpunkt, an dem das Kondom heimlich abgezogen wurde, nicht mehr einvernehmlich war.

Stealthing muss als Straftat bei der Gesellschaft ankommen

Damit Stealth Sex nicht ein Phänomen bleibt, worüber jeder Bescheid weiß, aber niemand spricht, sollte laut Dr. Chesser diese Thematik ganz offensiv und öffentlich behandelt werde.

„Wenn mehr Menschen darüber diskutieren können, hilft das, das Stigma zu beseitigen, weil sich so viele Frauen schämen [wenn ihnen sexuelle Gewalt widerfährt]“, erklärt Dr. Chesser.

Ein wachsendes Bewusstsein rund um diesen gefährlichen Trend zu schaffen, wird den Stealthing Opfern helfen, das damit verbundene Trauma besser zu verarbeiten. Ebenfalls wird es den Druck auf die Justiz erhöhen, angemessene Lösungen anzustreben, erklärt sie.

Mit diesen Tipps und Tricks können sich Stealthing Opfer schützen

Wenn einem Unrecht widerfährt, hat man das Recht, sich zu wehren. Betroffene sollten niemals die Schuld für das Fehlverhalten eines anderen Menschen bei sich selbst suchen. Abgesehen davon, den Vorfall zu kommunizieren mit Menschen des Vertrauens, der Polizei oder einem Psychologen, sollten sich Stealthing Opfer umgehend für professionelle Unterstützung an eine Beratungsstelle wenden. Besonders wichtig ist auch der Besuch beim Arzt, um gesundheitliche Schäden ausschließen zu können.

Weitere Maßnahmen, die im Vorfeld ergriffen werden können, um das Risiko auf Stealthing zu minimieren, sind folgende:

  • Eine klare Kommunikation der Wünsche und Bedürfnisse auf Augenhöhe ist ratsam. Es sollte hierbei auch auf die Wichtigkeit der Verhütung hingewiesen und notfalls Aufklärungsarbeit betrieben werden.
  • Speziell die männlichen Partner sollten darauf aufmerksam gemacht werden,

dass es bei der Verhütung um mehr als den Schutz vor ungewollten Schwangerschaften geht.

  • Auch das eigene Kondom mitzubringen, kann mehr zur eigenen und gemeinsamen Sicherheit beitragen.
  • Ganz nach dem Motto Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, beim Sex einfach nachfühlen, nachschauen, eventuell sogar nachfragen, ob alles noch an der richtigen Stelle sitzt.
  • Den Körperkontakt idealerweise nur zu Menschen suchen, denen man absolut vertraut und bei neuen Bekanntschaften sich Zeit lassen, bevor man intim wird.

Eine deutliche Kommunikation und Eigeninitiative können für mehr Acht- und Wachsamkeit sorgen. Better safe than sorry!

Bei diversen Beratungs- und Hilfsstellen kann man sich in vielen Städten Deutschlands kostenfrei und anonym beraten lassen. Außerdem erhalten Betroffene telefonisch Unterstützung:

Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800-22 55 530

Telefonzeiten : Mo., Mi., Fr.: 9.00 bis 14.00 Uhr und Di., Do.: 15.00 bis 20.00 Uhr

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 0800-116 016

Rund um die Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen.