Inside xHamster: Undercover-Recherchen von Vice decken Missstände auf

Die Pornoplattform xHamster zählt zu den am häufigsten besuchten Internetseiten weltweit. Das Vice-Magazin hat hinter die Kulissen des Portals geschaut und dabei große Lücken entdeckt, was den Schutz von Opfern sexueller Gewalt angeht.

Wir haben die Recherchen zusammengefasst und zeigen die Versäumnisse der Plattform beim Kampf gegen strafbare Inhalte.

Strafbarer Content erreicht Millionenpublikum

Laut Similarweb steht xHamster im Oktober 2020 auf Platz 22 der meistbesuchten Websites international – noch vor Internet-Giganten wie eBay oder MSN.

Das bedeutet: Die mehreren zehntausend Uploads pro Woche auf der beliebten Pornoseite erreichen ein Millionenpublikum. Nutzer können hier anonym erotische Geschichten, Bilder und Videos hochladen.

Doch wer kontrolliert diesen Content und sorgt dafür, dass bspw. Copyright-Verletzungen aufgedeckt und Aufnahmen von Minderjährigen und Vergewaltigungen aussortiert werden?

Recherchen des Vice-Magazins ergaben, dass sich neben wenigen Support-Mitarbeitern vor allem ein Team aus über 100 freiwilligen Löscharbeitern um die Überprüfung der Foto-Uploads kümmert. Wer für Videos zuständig ist, bleibt unklar.

Ein Vice-Reporter hat sich in das Löscharbeiter-Team Undercover eingeschleust. Dabei konnte er riesige Lücken im Schutzkonzept von xHamster ausmachen: Viele der Löscharbeiter sind schlecht geschult und bekommen lediglich ein lückenhaftes Regelwerk von dem Portal als Orientierungshilfe für ihre Tätigkeit zur Hand.

Infolgedessen bleiben Unmengen an strafbarem Content online, auf den Millionen von Menschen weltweit zugreifen können.

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Der „Reviewers Club“

Die Löscharbeiter werden vom Portal als „Reviewers Club“ bezeichnet. Dieser setzt sich aktuell offenbar aus rund 130 internationalen xHamster-Nutzern zusammen.

Sie sichten die Bilder-Uploads der anderen User und entscheiden per Mausklick, ob die Fotos auf dem Portal online bleiben oder gelöscht werden. Bevor strafbare Inhalte also möglicherweise durch die Löscharbeiter entfernt werden, sind sie bereits eine gewisse Zeit auf xHamster abrufbar.

Die Motivation der Löscharbeiter ist unterschiedlich. Vice hat mit einigen gesprochen, die vor allem ihre persönlichen Bedürfnisse im Blick haben. Sie erhoffen sich Privilegien und mehr Abwechslung durch den unbezahlten Job auf ihrem Lieblingsportal. Vereinzelt gaben Löscharbeiter aber auch eine ethische Motivation an. Ein 19-Jähriger Deutscher möchte bspw. mit seiner Arbeit dazu beitragen, dass sich erotische Fotos von Minderjährigen nicht im Internet verbreiten.

Jeder xHamster-Nutzer kann sich als Löscharbeiter bewerben. Die Voraussetzungen für diese Tätigkeit sind den Vice-Recherchen zufolge eine Mitgliedschaft seit mindestens 200 Tagen sowie mehrere Uploads von eigenen Inhalten.

Wird man vom Support als geeignet eingestuft, erscheint im Profil ein Sheriff-Stern mit „xHamster Reviewer“-Schriftzug. Außerdem kann man dem privaten xHamster-Account „RClub“ folgen, über dessen Pinnwand sich die Löscharbeiter miteinander austauschen. Über ein eigenes, übersichtliches Forum oder eine Chatgruppe verfügt der „Reviewers Club“ offenbar nicht.

Als Reviewer bekommt man schließlich auch Zugriff auf das Handbuch mit den Moderationsregeln. Dieses besteht im Kern aus lediglich knapp 2.800 Zeichen sowie 38 Beispielfotos.

Identifizierung von Minderjährigen nach Bauchgefühl

Das Handbuch soll zum Beispiel dabei helfen, Inhalte mit Minderjährigen zu identifizieren. Dieser Thematik werden ganze vier Zeilen Text und zwei Beispielfotos gewidmet.

Die Vorgabe: Aufnahmen mit Menschen, die „höchstwahrscheinlich“ unter 18 Jahren alt sind, sollen aussortiert werden. Man solle dabei nach Details Ausschau halten, die beim Erkennen der Minderjährigkeit helfen.

Folgt man diesem Tipp, so kann man mit etwas Glück vielleicht tatsächlich Details wie Tätowierungen, Piercings oder Dehnungsstreifen finden, die eher auf eine Volljährigkeit der Personen schließen lassen. Letztendlich handelt es sich dabei aber nur um Indizien.

„Es gab aber sehr viele Aufnahmen von Personen, die sehr jung aussahen, wo du dir absolut nicht sicher sein kannst, ob sie volljährig sind“, erklärte die Vice-Journalistin Yannah Alfering in einem Interview mit Spiegel.de.

Die Löscharbeiter sollen also ihrem Bauchgefühl folgen, wenn es um die Beurteilung geht, ob eine Person im Video erst 17 oder doch schon 18 Jahre alt ist. Ist man sich bei der subjektiven Einschätzung nicht 100 % sicher, so soll man das Bild laut Handbuch online lassen und ggf. andere Prüfer drauf schauen lassen.

Das bedeutet: Minderjährige werden nur geschützt, wenn sie in den Augen der xHamster Reviewer kindlich genug aussehen. Im Zweifel bleiben die entsprechenden Inhalte erstmal online.

Nach dem Strafgesetzbuch kann die Verbreitung jugendpornografischer Schriften in Deutschland eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Angesichts dieser strafrechtlichen Relevanz, wirkt der Umgang von xHamster mit dieser Thematik sehr lasch.

Reviewer sollen echtes von gespieltem Weinen unterscheiden

Auch beim Thema „Gewalt“ will das Handbuch den Löscharbeitern eine Orientierung liefern. Verboten sind demnach Inhalte, die Blut, Gewalt, Vergewaltigung, extremes BDSM sowie echtes Weinen und echtes Erhängen zeigen.

Es stellt sich die Frage, woran die Reviewer bspw. erkennen sollen, ob ein Weinen gespielt oder echt ist. Das Handbuch zeigt dazu ein Beispielfoto einer Frau mit tränenüberströmtem Gesicht. Doch wie soll das helfen – sind bspw. weniger Tränentropfen ein Indiz für gespieltes Weinen?

Zur Identifikation einer Vergewaltigung ist das Handbuch ebenso wenig hilfreich. Es zeigt Beispielfotos, auf denen einer Frau eine Pistole an den Kopf gehalten wird. So offensichtlich dürfte erzwungener Sex wohl eher selten zu sehen sein. Man kann wohl schwerlich erkennen, wenn eine Frau bspw. vor Aufnahme eines Fotos absichtlich unter Drogen gesetzt oder durch Erpressung zu sexuellen Handlungen genötigt wurde.

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Copyright-Verstöße werden hingenommen

Des Öfteren handelt es sich bei den Uploads auf xHamster augenscheinlich um aus dem Internet zusammenkopierte Foto-Sammlungen. Die Uploader verfügen in solchen Fällen nicht über die Nutzungsrechte.

Für den Umgang mit solchen Bildern finden sich nur sehr dünne Vorgaben im Handbuch. Dabei gäbe es für die Copyright-Problematik eigentlich eine Lösung. Die Nutzungsbedingungen von xHamster besagen, dass Uploader über Einverständniserklärungen der in hochgeladenen Fotos gezeigten Personen verfügen müssen. Könnten die Reviewer solche Dokumente anfordern, ließe sich zusammengeklautes Material einfach identifizieren und aussortieren.

Doch daran ist xHamster offenbar nicht interessiert: Eine Administratorin verkündete laut Vice-Recherchen am 7. Oktober, dass Copyright-Verstöße zukünftig generell online bleiben würden. Warum diese Entscheidung fiel, konnte der Vice-Reporter nicht in Erfahrung bringen.

Voyeurismus wird offenbar geduldet

Heimlich gefilmte Aufnahmen von Frauen, bspw. am Strand oder in der Sauna, sind in Deutschland nach § 201a StGb strafbar. Dennoch findet sich zu Fällen von Voyeurismus nichts im xHamster-Handbuch für Löscharbeiter.

Ein Sprecher des Portals sagt, dass man bei solchen Aufnahmen häufig nicht feststellen könne, ob sie nachgestellt oder real seien. Zudem gibt es Frauen, die exhibitionistisch veranlagt sind und sich gerne nackt präsentieren.

xHamster Bilder

Ob ein Foto heimlich geknipst wurde, lässt sich also meistens nicht sagen – im Zweifel bleibt auch dieses strittige Bildmaterial online. Opfer von heimlichen Aufnahmen können zwar rechtlich dagegen vorgehen, wenn sie sich auf xHamster wiederfinden, allerdings kursieren die Inhalte dann bereits im Netz.

Fäkalien strengstens verboten

Anders als bei Voyeurismus, Vergewaltigung und Sex mit Minderjährigen, bietet das Handbuch bei anderen Themen klare Vorgaben: Kot, Regelblut und Erbrochenes dürfen nicht auf den Bildern zu sehen sein.

Interessant ist: Diese Dinge sind nicht illegal – im Gegensatz zu Vergewaltigung und anderen strafrechtlich relevanten Themen.

Reaktionen auf Inside xHamster aus der Politik

Die frisch veröffentlichten Recherchen von Vice machen deutlich, dass xHamster Opfer von sexualisierter Gewalt nur unzureichend schützt. Auf einen Fragekatalog des Magazins hat xHamster lediglich mit knappen Statements reagiert und ist auf viele der 67 Fragen nicht weiter inhaltlich eingegangen.

Die Recherchen schlagen große Wellen und führten zu ersten Reaktionen aus der Politik.

Das Statement des Justizministeriums: Es müsse „ausgeschlossen sein, dass Anbieter durch ein ‚bewusstes Wegschauen‘ oder eine laxe Kontrollpraxis einer Verantwortlichkeit entgehen“. Das Ministerium halte daher verpflichtende Anforderungen für Pornoseiten-Betreiber im Umgang mit strafbaren Inhalten für wichtig. Zu konkreten Maßnahmen gab es jedoch keine Äußerungen.

Konkreter sieht es auf EU-Ebene aus. Das derzeit geplante Gesetzespaket „Digital Services Act“ soll rechtliche Verpflichtungen von Pornoportalen und anderen Online-Plattformen neu definieren.

Die weiteren Entwicklungen und Reaktionen zur Recherche wird Vice unter dem Hashtag #InsidexHamster veröffentlichen.

Hier kann man alle Vice-Artikel zum Thema Inside xHamster lesen